Minden. Vor vier Jahren ist sie selbst aus Syrien geflohen; jetzt steigt sie im „Fluchtpunkt Martinihaus“ mit einer Halbtagsstelle in die Flüchtlingsberatung des Evangelischen Kirchenkreises Minden ein. Amany Fiddah ist 31 Jahre alt, verheiratet, Mutter eines dreijährigen Sohnes und eine Person, die auch in schwierigsten Situationen fest entschlossen ist, aus allem das Beste zu machen.
Ihr Mann ist bereits 2016 geflohen – über die Türkei nach Griechenland und dann im Boot. Sie selbst kam zwei Jahre später im Rahmen des Familiennachzugs und über Jordanien hinterher. Um ausreisen zu können, musste sie Deutschkenntnisse auf A1-Niveau nachweisen. Zwar hatte sie keine Möglichkeit, einen Deutschkurs zu besuchen. Aber sie bestand die Prüfung auch so, nachdem sie sich erste Deutschkenntnisse mit Hilfe von You-Tube-Videos selbst vermittelt hatte. Inzwischen spricht sie Deutsch auf B2-Niveau und wünscht sich sehr die Chance, auch einen C1-Kurs machen zu können. Sprachen zu lernen, fällt ihr leicht; in Syrien hat sie ein Studium für arabisch-englische Übersetzungen absolviert.
„Im Grunde hat Amany mit ihrer Sprachbegabung und ihrer Hilfsbereitschaft kurz nach ihrer Ankunft in Deutschland ihre eigene kleine Flüchtlingsberatung aufgemacht“, sagt Oliver Roth, der Leiter des Flüchtlingsberatungsteams im Fluchtpunkt Martinihaus, und lacht.
Das kam so: Bald nach ihrer Ankunft in Minden 2018 traf Fiddah im Rathaus, wo sie für sich selbst eine behördliche Angelegenheit regeln wollte, auf ein arabischsprachiges Paar, das im Begriff war, einem Mann 100 Euro dafür zu geben, dass er für sie ein Formular übersetzte. Fiddah schaltete sich ein und bot Hilfe an, ohne Geld dafür zu verlangen. Schnell sprach sich in Minden herum, dass sie gut Deutsch konnte und sehr hilfsbereit war. In der Folge kamen immer mehr Geflüchtete auf sie zu und baten um Unterstützung. Sie selbst wiederum hatte immer wieder mit Oliver Roth und seinen Kolleginnen Suzan Azer, Elke Bikowski und Anna Gasiewski zu tun – einerseits mit ihren eigenen Fragen, andererseits mit der großen Bereitschaft, das Team des Kirchenkreises auf ehrenamtlicher Basis zu unterstützen.
Seit der Kirchenkreis im Mai im Martinihaus eine zentrale Anlaufstelle für Geflüchtete unterhält, ist sie mit großem Einsatz drei- bis viermal wöchentlich ehrenamtlich dabei. Nun wird dank einer Förderung durch die Diakonie Katastrophenhilfe, wenn auch befristet bis 31. Januar, eine hauptamtliche Stelle daraus. Insgesamt stellt die Diakonie Katastrophenhilfe für die Arbeit von Fiddah die höchste Fördersumme zur Verfügung, die aus dem Sonderfonds für die Ukraine-Hilfe möglich ist (10.000 Euro).
Für Amany Fiddah ist es die erste Anstellung, seitdem sie in Deutschland lebt, und deshalb ein wirklich großer Schritt, für den sie von Herzen dankbar ist. Für professionelle Flüchtlingsberatung hat sie zwar nicht die richtige Qualifikation. „Aber sie kann etwas, was wir Hauptamtlichen nicht können und was sehr wichtig und wertvoll ist“, erklärt Roth, „sie kann anderen Geflüchteten auf Augenhöhe begegnen, sie von ihren eigenen Erfahrungen profitieren lassen und Manches im Grunde besser erklären als wir, die wir schon immer in Deutschland leben und niemals fliehen mussten“, sagt Roth. Er sei sehr froh, dass Fiddah dank der Förderung durch die Diakonie Katastrophenhilfe nun endlich für ihre wichtige Arbeit auch ein Gehalt bekommt.