
Wort zum Sonntag
Das „Wort zum Sonntag“ von Pfarrerinnen und Pfarrern aus dem Mindener Land gibt es in der Samstagsausgabe des Mindener Tagesblatts – und darüber hinaus auch hier.
Ausbruch
Die Hitze des Sommerabends hängt schwer in der Luft. Er sitzt auf der Couch, das Gesicht versteinert. Es begann wie so oft, mit einer Kleinigkeit, die sich zu einer Lawine des Grolls aufbaute. Alte Verletzungen wurden wieder hervorgeholt, Worte wie scharfe Messer, die tiefe Wunden schlagen.
Unerträgliche Spannung. Mein Körper zittert vor unterdrückter Wut und Frustration. Aber ich bin bereit weiterzukämpfen, mich zu verteidigen. Diesmal lasse ich nicht gut sein. Diesmal nicht. Ich habe alles in der Hand, um ihn zu vernichten – dieses Mal wirklich.
Plötzlich verändert sich sein Blick. Er steht auf, geht einen Schritt auf mich zu. Instinktiv weiche ich nach hinten aus – und dann sinkt er auf die Knie und verneigt sich. Er legt sich flach hin, die Arme ausgebreitet, das Gesicht zur Seite gedreht.
„Warum hörst du auf das Gerede der Leute? Ich kann das nicht mehr“, sagt er leise, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern. „Ich weiß nicht mehr weiter. Soll Gott Richter sein zwischen dir und mir. Ich werde mich nicht an dir vergreifen. Ich will Frieden.“
Stille. Irritiert und verunsichert schaue ich auf ihn herab.
Doch dann, ganz langsam, beginnt etwas in mir. Die Wut, die Bitterkeit, der ganze aufgestaute Groll beginnt zu schmelzen. Tränen steigen in meine Augen und ich lasse mich neben ihm auf den Boden sinken.
Wir liegen da, Seite an Seite. Die Stille nur durch unsere leisen Schluchzer unterbrochen. Ein Wendepunkt. Der Moment, in dem wir die Gewaltspirale durchbrechen.
Seine Demut trifft mich tief, öffnete mein Herz und gibt mir irgendwie die Kraft, ebenfalls loszulassen.
Der Sommerabend bleibt heiß und stickig, doch in unseren Herzen beginnt ein neues Kapitel, geprägt von dem Wunsch, gemeinsam eine bessere Zukunft zu schaffen. Die Härte, die uns so lange voneinander getrennt hatte, beginnt zu bröckeln.
„Wo ist jemand, der seinen Feind findet und lässt ihn im Guten seinen Weg gehen? Der Herr vergelte dir Gutes für das, was du heute an mir getan hast!“ – 1. Samuel 24,1-20

Alexander Möller
Pfarrer, Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Lahde
Fair play
Neben mir liegt der Kalender zur Fußball-EM. In den nächsten 4 Wochen werden viele Termine um die entscheidenden Spiele der EM herumgelegt. Dabei kommt es sehr darauf an, wer gerade spielt: ist es Deutschland oder hat jemand vielleicht noch eine andere Mannschaft als Favoriten? Bei Sitzungen werden zwischendurch Spielstände mitgeteilt. Public Viewing ist angesagt, auch in Kirchen. Deutschland im Fußballfieber. Ein zweites Sommermärchen – das hätte was. Ob das klappt?
Fußball ist für viele die schönste Nebensache der Welt. Und so mache ich mit: lege Termine um, toleriere Terminverschiebungen und Jubel- oder Entsetzensschreie während der Spiele, koche landestypisch je nach Mannschaft, wenn ich mit Jugendlichen ein Spiel angucke, und freue mich, wenn die Fans um mich herum zufrieden sind. Wenn es richtig spannend wird, packt es mich aber auch. Dann bete ich, dass es fair läuft.
Ich hoffe, dass Schiedsrichter wirklich unparteiisch sind und das Wesentliche mitbekommen. Ich hoffe, dass die Spieler, gleich welcher Mannschaft, nicht unter ihren Möglichkeiten bleiben. Und ich hoffe, dass sie fair spielen.
Fair play – das wünsche ich mir nicht nur für den Fußball. Das erhoffe ich mir auch für das neue Europaparlament. Für die deutsche Politik. Für unser Miteinander hier in Minden. Fair play heißt, zuzuhören, wenn mir andere Meinungen begegnen. Mich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Und anzuerkennen, dass es auch eine andere Sicht auf Situationen gibt, die mir vielleicht fremd sind.
Jesus hat vor seiner Kreuzigung gebetet: „Nicht mein, sondern dein Wille geschehe.“ Es gehört viel Gottvertrauen dazu, das zu beten. Damals. Und heute: bei der EM. Bei all den großen und kleinen Entscheidungen in Europa, in unserer Welt, in meinem eigenen Leben. Zum Glück hat Gott wirklich den Überblick. Und da, wo ich engstirnig und hartherzig bin, ist Gott barmherzig und gnädig. Zum Glück kommt es bei Gott nicht nur auf Leistung an, bei ihm sind wir auch so okay.

Nicole Bernardy
Pastorin, Evangelisch-methodistische Kirche
Anführer oder Zehn Gebote wählen?
Es ist eine biblische Geschichte. Aus dem alten Israel. Nachzulesen im 1. Buch der Könige, Kapitel 21: König Ahab will den Garten von Naboth. Besser: seinen Weinberg. Aber Naboth will diesen Deal nicht. Das ist Familienerbe. „Den Weinberg gebe ich nicht her.“ Kurzum: Königin Isebel ermutigt den König Ahab, das ‚zu erledigen‘. Besser: Naboth zu erledigen, indem beauftragte falsche Zeugen bei einer öffentlichen Veranstaltung gegen ihn aussagen, „Naboth hat Gott und den König gelästert!“ Naboth wird getötet. Isebel und Ahab wollen nun den Weinberg in Besitz nehmen. Aber da tritt der Prophet Elia auf. Er kündigt dem König kompromisslos an, nun würden die Hunde bald sein Blut lecken.
Die Geschichte geht auf die Zeit des neunten vorchristlichen Jahrhunderts zurück und lehrt doch bis heute: Kein König steht über dem Gesetz. Oder sollten wir nicht lieber mit der Hebräischen Bibel im Rücken sagen: Kein Mensch steht über den Zehn Geboten. Wir könnten uns sogar aus dem Fenster der Religions- und Wertegeschichte lehnen: Niemand steht über wahrem Recht und Gesetz. Und die Menschenrechte gelten für alle.
In der vorletzten Woche ist der ehemalige US-amerikanische Präsident und jetzige Präsidentschaftsbewerber Donald Trump in allen 34 Punkten eines Prozesses um die Zahlung von Schweigegeld an eine Porno-Darstellerin verurteilt worden. Seine gewaltbereiten Unterstützer drohten daraufhin auf verschiedenen Web-Seiten, wie Patriots.win: „1.000.000 (bewaffnete) Männer müssen nach Washington gehen und alle aufhängen. Das ist die einzige Lösung.“ Ähnliche Versuche, unsere Demokratie zu stürzen, erleben wir in Deutschland aus der Reichsbürger- und rechtsextremistischen Szene, auf andere Weise bei Salafisten, die in Deutschland die Scharia einführen wollen.
Die Europa-Wahl am 9. Juni sollte allen demokratie- und menschenrechtsfeindlichen Kräften eine deutliche Abfuhr erteilen. Europa ist eine Gemeinschaft hoffentlich friedlicher Völker und Menschen. Und seine Feinde sollte niemand in die eigene Regierung wählen.

Dr. Jörg Bade
Berufsschulpfarrer/Religionspädagoge am Leo-Sympher-Berufskolleg