Wort zum Sonntag

Das „Wort zum Sonntag“ von Pfarrerinnen und Pfarrern aus dem Mindener Land gibt es in der Samstagsausgabe des Mindener Tagesblatts – und darüber hinaus auch hier.

Guter Vorsatz

Ich wehre mich ja dagegen, mit guten sportlichen Vorsätzen in ein neues Jahr zu gehen. Erstens, weil ich nicht alles nachmachen will, und zweitens, weil ich es ja sowieso nicht mache. Irgendwie müsste ich doch mal was tun. Also doch Sport? Könnte man mal machen. Aber draußen ist es nass und kalt und drinnen habe ich keine Lust. Ich glaube, ich nehme mir etwas anderes vor.
Der für dieses Jahr als Jahreslosung ausgesuchte Bibelspruch könnte etwas sein. „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Das hilft nicht gegen Weihnachtsbauch, ist aber viel besser. Das könnte mir und anderen gut tun. Vielleicht ist das keine Lösung für die großen Krisen dieser Welt. Aber ein bisschen schon. Geht das, die Dinge nicht nur zu tun, sondern in ihnen die Liebe mitzunehmen? Ich glaube, dass ich von Gott geliebt werde. Dann kann ich das wenigstens auch versuchen. Werde ich das schaffen? Bestimmt nicht immer. Aber so ist das ja mit den Vorsätzen. Wie geht das konkret? Mal sehen. Ich habe ja 366 Tage Zeit das auszuprobieren.
Also trotz allem Krisenmodus, der sich wohl auch 2024 fortsetzen wird: Auf in ein gutes neues Jahr. Und das mit Liebe. Alles, was ihr tut…

Hendrik Rethemeier

Hendrik Rethemeier

Pfarrer, z. Zt. Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinden Kleinenbremen und Petershagen

Der du allein der Ewge heißt und Anfang, Ziel und Mitte weißt im Fluge unsrer Zeiten

Als Kind habe ich mich leidenschaftlich gerne auf den kleinen Karussells auf den Spielplätzen gedreht, die man selber anschieben konnte. Wenn sie sich so richtig schnell drehten, habe ich mich abwechselnd weit hinausgelehnt und dann wieder die Nähe des Mittelpunktes gesucht. So kann man Zentrifugal- und Zentripetalkraft hautnah erleben – diese Namen lernte ich später im Physikunterricht. Am tollsten war es mitten im Drehen abzuspringen und es drehte sich im eigenen Kopf immer noch weiter – das Schwindelgefühl war einfach toll! So mancher Erwachsene fühlt sich heute mit Blick auf das Zeitgeschehen so ähnlich, nur findet das kaum einer noch toll.
„Die Zeit ist verrückt geworden! Wer weiß was das nächste Jahr noch bringen wird …“.  Mir ist beim Gedanken an Sylvester dieses Jahr aufgefallen, dass zwei meiner Kollegen, Dietrich Bonhoeffer und Jochen Klepper, in der Nazizeit Sylvestergedichte geschrieben haben, die später vertont wurden und die heute noch im evangelischen Gesangbuch stehen. „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ (EG 65 und 652) und „Der du die Zeit in Händen hältst“ (EG 64). Sie lebten in schwierigeren Zeiten – haben sie etwas gefunden, was auch mich in diesen Tagen tragen kann? Jochen Klepper, der mit einer jüdischen Frau verheiratet war und deshalb in seiner schriftstellerischen Arbeit immer wieder diskriminiert wurde, schrieb noch vor Beginn des 2. Weltkrieges 1938: Der du die Zeit in Händen hast, Herr nimm auch dieses Jahres Last und wandle sie in Segen. Nun von dir selbst in Jesus Christ die Mitte fest gewiesen ist, führ uns dem Ziel entgegen. Da ist sie wieder – die Mitte in allen Drehungen, die alles zusammenhält – Jesus Christus, der mit seinem Leben die Liebe Gottes vorgelebt hat – die Liebe, die auch meine Zeit in den Händen hält und die meine Bruchstücke, selbst mein Scheitern und Versagen in Segen verwandeln kann. Das habe ich schon erlebt.
Diese Mitte hält den Fliehkräften meines Lebens stand, von denen Jochen Klepper am Ende schreibt: Der du allein der Ewge heißt und Anfang, Ziel und Mitte weißt im Fluge unsrer Zeiten: Bleib du uns gnädig zugewandt und führe uns an deiner Hand, damit wir sicher schreiten.  Ich kann mich weit hinauslehnen, aber die Mitte hält mich. Der Flug unserer Zeiten macht vielleicht nicht mehr so schön schwindelig, wie das Karussell mich als Kind gemacht hat, und doch kann ich mich ihm anvertrauen, weil ich ihn in den Händen Gottes sehe. So kann ich vertrauensvoll über die Schwelle des neuen Jahres gehen und auch schwindelig sicher schreiten, weil ich mich gehalten glaube von Gottes liebevoller Zugewandtheit.
So wünsche ich Ihnen und Euch allen ein gesegnetes Jahr 2024, bleiben Sie behütet.

Katja Reichling

Katja Reichling

Pfarrerin an der Christuskirche Todtenhausen/Kutenhausen

Exklusivinterview mit Joseph N.: Ein Adoptivvater erzählt im Radio wie es „wirklich“ war

Worum es Weihnachten wirklich geht – unter anderem

Josepf – vielen Dank, dass sie die weite Zeitreise zu uns unternommen haben!

Ja, ich danke Ihnen für die Einladung!

Sie haben ein Buch geschrieben „Das Kind braucht einen Vater – Memoiren eines modernen Adoptivvaters“. Warum erst jetzt, nach so vielen Jahren?

Ich hatte es einfach satt, dass jeder meint, er wisse Bescheid. Wegen so ein paar Versen aus der Bibel…

Stimmen die etwa nicht?

Doch, aber wie oft musste ich mir anhören, ich sei der Verlierer der Weihnachtsgeschichte. Erst lasse ich mich von meiner Verlobten betrügen, dann heirate ich sie auch noch und zahle doppelt, für sie und das Kind…

Dass ihre Verlobte sie betrügt, steht doch gar nicht in der Bibel.

Aber alle denken das!

Was ging denn in ihnen vor, als sie erfuhren, dass Maria schwanger war?

Die Zeit stand still, totaler Schock. Ich habe mich sehr darauf gefreut, dass sie meine Frau wird. Dazu kam ja, sie hat es mir so ruhig erzählt. Es tat ihr nicht leid, sie schämte sich nicht, ich konnte es zuerst gar nicht glauben.

Haben sie sich nicht sofort gefragt, ob sie sie nicht doch betrogen haben könnte?

Nein, dafür war sie nicht der Typ. Und wenn, dann hätte sie dazu gestanden. Nein, Maria hat mich nicht betrogen, das wusste ich sofort. Eher hätte ihr jemand Gewalt angetan. Das war meine erste Sorge. Aber ich sehe sie noch heute vor mir. Sie war im Einklang mit sich und Gott.

Hatte sie eigentlich gar keine Angst, was da gerade mit ihr geschah und was das für ihre Zukunft bedeuten könnte?

Maria? Maria war nie ängstlich, höchstens mal besorgt. Aber natürlich wollte sie wissen, ob ich sie jetzt verlasse. Sie hat gehofft, ich würde bleiben, das konnte ich sehen.

Und was haben Sie gesagt?

Diese Frage konnte ich in diesem Moment gar nicht beantworten. Ich bin völlig fertig nach Hause gegangen und habe mich hingelegt. Aber ich konnte nicht schlafen, ich war total durcheinander, mal war ich wütend, mal habe ich mich geschämt, mal hab ich Maria vermisst. Immer mal wieder habe ich ein paar Stoßgebete gesprochen. Hilf mir, sag mir, was ich tun soll, Gott.

Und was hat Gott geantwortet?

Nichts. Und dann war ich irgendwann so verzweifelt, dass ich mich entschloss, Maria im Geheimen zu verlassen. Damit konnte man sich noch am besten blicken lassen vor den anderen und auch für Maria war es die beste Lösung, ich mochte sie ja immer noch!

Sie waren ja richtig verliebt in Maria!

Ja, aber ich kann doch keine Frau heiraten, die ein Kind bekommt, das nicht meins ist, habe ich mir immer wieder gesagt. Und dann, dann war plötzlich …. alles klar und … !

Der Engel Gottes ist Ihnen erschienen!

Wenn Sie das so sagen wollen. Aber ehrlicherweise war da eher etwas in meinem Herz: Liebe. Und ich war mir auf einmal total sicher, dass eigentlich überhaupt GAR NICHTS dagegen spricht, Maria zu heiraten, obwohl das Kind nicht von mir ist. Ich hatte plötzlich das Gefühl, dass ich sehr gerne der Vater von diesem Kind wäre.

Das war und ist doch gegen jede Logik!

Mag sein, für mich war es wie ein Wunder, so als wäre ich gerade Vater geworden.

Den Engel gab es also gar nicht???

Moment – ich habe für mich ganz klar eine Botschaft von Gott bekommen. Ein Engel ist doch nichts anderes als ein Bote. Ich wusste seit der Nacht genau, dass ich der Vater dieses Kindes sein soll und dass dieses Kind ein Kind Gottes ist. Deshalb bin ich doch auch heute hier, oder?!

Aber das sind doch alles keine Beweise!

Nein, und ich kann auch nicht beweisen, dass Maria als Jungfrau schwanger wurde. Viel wichtiger ist doch: Unser Sohn ist nicht ganz von dieser Welt. Wenn die Bibel sagt, er war Gottes Sohn, dann trifft es das eigentlich ganz gut. Ich habe keinen Zweifel daran, dass Gottes Blut und Gene in ihm fließen. Je älter er wurde, desto sichtbarer wurde das. Aber er blieb auch immer mein Sohn. Ich habe ihm die Windeln gewechselt! Aber er war irgendwie nicht zu retten…

Dieses Interview ist ja nicht zu retten! Nicht mal Sie als Augenzeuge können uns erzählen, wie das wirklich war mit der Vaterschaft von Jesus.

Fakten und Beweise kann ich ihnen nicht liefern. Nur meine Geschichte.

Dann reden wir halt noch etwas über ihr Buch. Was hat das jetzt mit dem Buchtitel auf sich? „Das Kind braucht einen Vater, Memoiren eines modernen Adoptivvaters“.

Ich wollte meine Geschichte erzählen. Dass ich dieses Kind adoptiert habe, ist das größte Geschenk, was ich je bekommen habe.

Aha.

Ja. Und seitdem mache ich Werbung für Adoptionen, ich bin der größte Fan von Adoptionen. Von Kindern aber auch von Erwachsenen.

Können Sie das bitte etwas näher erklären?

Ja, auch wir Erwachsenen haben das nötig. Dass uns jemand so nimmt, wie wir sind. Jemand, der dazu nicht verpflichtet ist, nicht aus familiären oder rechtlichen Gründen, nur aus vollem Herzen.  Es gibt keine größere Liebe als das. Das habe ich durch meinen Adoptivsohn gelernt. Mein Sohn war bei mir willkommen, ich habe alles dafür gegeben, dass es ihm gut geht. Aber er hat das noch auf ein viel höheres Level gehoben. Bei ihm waren alle willkommen, er hatte für jeden und jede einen Platz. Er hat quasi alle adoptiert, das hatte er von Gott, aber vielleicht auch ein wenig von mir. Also wenn Sie, liebe Hörerin, lieber Hörer, jetzt vor dem Radio sitzen und sich fragen, was Weihnachten eigentlich soll – meine Antwort wäre – gucken Sie sich um und fragen Sie sich, welcher Mensch von Ihnen adoptiert werden muss. Ganz dringend. Für 3 Sekunden, für 3 Minuten, 3 Stunden oder auch länger. Was braucht dieser Mensch, damit er oder sie gut leben kann? Eine Kuscheleinheit, etwas zu trinken oder zu essen, einen Schutzraum, überhaupt ein Dach und ein Bett, Ihre Augen, Hände oder Ohren, Ihre Stimme oder Ihr Herz? Weihnachten ist ein Adoptionsfest. Glauben Sie mir, wenn wir füreinander sorgen so wie Adoptiveltern für ihre Kinder, obwohl wir nichts voneinander wissen oder nichts miteinander zu tun haben – dann ist das die größte Liebe von allen.

Amen. Das war jetzt ja fast eine Predigt. Danke Josepf N., dass Sie in unser Radiostudio gekommen sind.

Danke, dass ich kommen durfte. Danke für Ihre Geduld …

Ja. Schon gut. Liebe Weihnachtsradiogemeinde, es tut uns leid, aber es bleibt wohl Glaubenssache, wie das alles so war mit der Vaterschaft von Jesus.  Aber an der Sache mit der Adoption, da bleiben wir dran. Schalten sie auch nächstes Mal wieder ein, dann beschäftigen wir uns mit der Jahreslosung 2024: Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.

Katrin Berger

Katrin Berger

Pfarrerin, Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Bergkirchen und Oberlübbe-Rothenuffeln Foto: Antje Egbert