Wort zum Sonntag

Das „Wort zum Sonntag“ von Pfarrerinnen und Pfarrern aus dem Mindener Land gibt es in der Samstagsausgabe des Mindener Tagesblatts – und darüber hinaus auch hier.

Gott begegnen auf viele Weisen

Juden und Muslime finden es lästerlich, rational denkende Menschen lächerlich: das christliche Bekenntnis der „Dreieinigkeit Gottes“ (Trinität). Als Teil des christlichen Kirchenjahres wird es am morgigen Sonntag als Abschluss der Pfingstwoche in den Kirchen gefeiert.

Ist für heutige Menschen schon der Gedanke, dass (!) es einen Gott gibt, befremdlich, um so abstruser der Versuch, Gott aufzuspalten, so wie Physiker*innen ein Atom in seine Bestandteile zerlegen (was böse Folgen haben kann). „Gespaltenes Ich“ ist in der Psychiatrie keine erfreuliche Diagnose – warum dann ein „gespaltener Gott“ in der Theologie?

„Vater, Sohn und Heiliger Geist“: Manchmal geht mir diese Dreierformel holpernd über die Lippen, mal wie geschmiert. Es ist abenteuerlich und bereichernd, den ewigen allumfassenden einen Gott – wenn es ihn denn gibt – zu entdecken in verschiedenen Wirkweisen, in denen er mir begegnet.

Schöpfung und Erhaltung der Natur, bedingungslose Liebe zum Menschen, verwandelnde Kraft zum Guten: Drei fundamentale Rollen, in denen mir ein und derselbe Gott erscheint. So wie der Mond am Himmel verschiedene Gesichter zeigt, und doch immer derselbe bleibt. „Dreieinigkeit“: Kein theologisches Haarespalten, sondern ein Offensein gegenüber dem Unbegreiflichen in meinem Leben. Gott ist vollkommen. Alles was mir begegnet, kommt von ihm: die Luft zum Atmen, die Liebe die mich vor dem Erkalten bewahrt, die Hoffnung die mich im Zweifel nicht verzweifeln lässt.

Gottesbilder sind notwendige Versuche, das Unbeschreibbare erfahrbar zu machen. Sie machen es uns nicht einfach, ohne sie geht es aber auch nicht. Sie haben keine Gültigkeit an sich, sondern wollen immer neu interpretiert werden. Vor allem: Sie wollen gelebt werden, mitten im Alltag. Machen wir die Augen auf! Vielleicht sind „Drei“ ja noch zu wenig.  Vielleicht begegnet SIE mir ja noch in ganz anderen Rollen. Wenn ich für IHN offen bin.

Andreas Brügmann

Andreas Brügmann

Pfarrer, Offene Kirche St. Simeonis

Gedanken zum Pfingstsonntag

Nicht mit Heer und Kraft, nicht mit Panzern und Raketen, sondern mit der Sanftheit und dem Sturm des Geistes Gottes…? (nach Sacharja 4, 6)

Wenn ich die Bilder der Zerstörung des Krieges im Donbass, in Mariupol und anderen Orten der Ukraine sehe und Zahlen von getöteten Menschen höre, dann entwickelt sich bei mir – neben allem Erschrecken ein Traum:

Was würde passieren, wenn Menschen aus ganz Europa sich einem Friedensmarsch in die Ukraine anschließen würden und zu Hunderttausenden sich den Panzern entgegenstellten?

Was würde geschehen, wenn sie dann auch noch Musik dazu spielten und anfingen zu tanzen…

Was würde passieren, wenn die Soldaten ihre Waffen niederlegen und gemeinsam essen würden?

Was würde passieren…?

Was wäre, wenn wir uns begeistern lassen würden von dem, auf den unser Glaube sich richtet, der davon gesprochen hat, dass wir einander die Hand zur Versöhnung reichen sollen, ja dass wir sogar unsere Feinde lieben sollen?

Wie würden Begegnungen zwischen Menschen aussehen, wenn wir uns der Kraft des Heiligen Geistes anvertrauen könnten? Dieser lebendigen Kraft, die Menschen erfassen und durchdringen kann, so dass ihr Leben eine unerwartete Richtung bekommt, die aus schüchternen Menschen redegewandte Leute werden lässt und bewirkt, dass jemand, der von Natur aus träge ist, bereit wird aufzubrechen, den sicheren Alltag zu verlassen, Bequemlichkeiten aufzugeben, um ganz für eine Aufgabe zu leben, die der Geist Gottes ihm ins Herz und den Verstand gegeben hat.

Was wäre in den letzten 2000 Jahren mit der Kirche Jesu Christi passiert, hätte es nicht immer wieder Menschen gegeben, die in Bewegung kommen und Wege gingen, die sie sich nicht hätten träumen lassen.

Der Geist Gottes ist der Lebensatem, ist die Kraft, die Menschen tröstet und ihnen Flügel verleiht, ihnen neue Möglichkeiten eröffnet, sie aufrüttelt und wach die Geister scheiden lässt.

Ein geistreiches und ein fröhliches Pfingstfest!

Maike Brodowski-Stetter

Maike Brodowski-Stetter

Pfarrerin am Leo-Sympher-Berufskolleg Minden

Lebenswahlen

Wenn ein Künstler aus einem hölzernen Stamm ein Gesicht schnitzen will, dann steht am Anfang seine Vorstellung und dem gegenüber das gewachsene Material.
Das „Rohmaterial“ eines Menschen ist seine Genetik, die frühen kindlichen Prägungen, denen der Mensch ausgeliefert ist, und die es noch nicht selber gestalten kann.
In dieser Zeit wird schon deutlich, ob das Gesicht eines Kindes eher sorgenvoll und ängstlich oder gelassen, fröhlich und unternehmungslustig werden wird.
Spätestens am Ende seiner Jugend und im Beginn des Erwachsenwerdens gestaltet der Mensch sein Gesicht selber mit: Durch seine Lebensentscheidungen, durch seine Beziehungsentscheidungen, durch seine Einstellungen und seine Glaubensentscheidungen.

Und vor jede Entscheidung ist eine Wahl gestellt: – Ob ich mein Leben nach Lust und Laune laufen lasse, ob ich in meinen Entscheidungen verbindlich und berechenbar bin, ob ich Unvorhergesehenes mit Distanz und Humor nehme oder ob ich verbittert werde, wenn ich Schicksalsschläge in mein Leben integrieren muss.

Am Anfang meiner gruppendynamischen Kurse machte ich eine überraschende Erfahrung. Wir waren 60 Personen und keiner kannte den Anderen. Der Leiter gab uns die Aufgabe, in Kleingruppen den Beruf unseres Gegenübers zu raten. Mir gegenüber saß ein gestandener 50-jähriger. Er fixierte mich eine halbe Minute: „Sie sind ein esoterischer Spinner, entweder sind sie Künstler oder Theologe!“, sagte er wohlwollend verschmitzt. Getroffen, Schiff versenkt! Ich ließ seine Persönlichkeit auf mich wirken: „Sie sind Metzger, entweder sind Sie Chirurg oder Analytiker.“ Getroffen, Schiff versenkt! Er war Analytiker.

Unser Gesicht ist unsere Adresse und unser größtes Fenster. Mehr als wir glauben, ist es durch unsere Entscheidungen geprägt. Aber vor jede Entscheidung ist eine Wahl gestellt.

Wolfgang Ricke

Wolfgang Ricke

Katholischer Pfarrer am Johannes Wesling Klinikum Minden