Wort zum Sonntag

Das „Wort zum Sonntag“ von Pfarrerinnen und Pfarrern aus dem Mindener Land gibt es in der Samstagsausgabe des Mindener Tagesblatts – und darüber hinaus auch hier.

Kleines Büchlein, große Wirkung

Niemand geht verloren
Ab und zu nehme ich es zur Hand und blättere drin herum. Jenes kleine, leicht abgegriffene Notizbüchlein mit dem immer noch erstaunlich gut erhaltenen Lederumschlag und dem Buchstabenregister von A bis Z. Kein Tagebuch im eigentlichen Sinne, auch wenn die ein oder andere Begebenheit kurz skizziert wurde. Und eben auf diese Weise verbunden mit Erinnerungen an so manche Gespräche mit denjenigen, deren Namen dort eingetragen sind. Neben den Telefonnummern auch die Adressen. Auffällig: Sehr viele Festnetznummern und noch vierstellige Postleitzahlen. Im Laufe der Jahre dann hinzugefügte Handynummern, fünfstellige Zahlen vor den Orten und kleine eingelegte Notizzettel. Auf diese haben sich auch E-Mail- Adressen hinzugesellt, die mehr Zeilenraum beanspruchen als die im Vergleich eher bescheiden schmal wirkenden Festnetznummern. Dieses eher unscheinbare Büchlein begleitet mich inzwischen bereits seit mehreren Jahrzehnten. Es ist somit auch ein Stück weit eigene Zeit- und Lebensgeschichte. Auf diese Weise kann ich verreisen. Nicht nur gedanklich an einen anderen Ort, sondern auch in eine andere Zeit und in die eigene Vergangenheit. Es lohnt sich, manchmal innezuhalten und sich an Situationen aus dem eigenen Leben zu erinnern. Da gab es die schweren und schicksalhaften Stunden, wo alles auf dem Spiel zu stehen schien. Es gab die langweiligen Zeiten, in denen offenbar gar nichts passierte. Und es gab die federleichten, fröhlichen Stunden, wo alles spielerisch zu gelingen schien. Dabei mögen wir sicherlich auch an die Menschen denken, denen wir begegnet sind, die wir getroffen haben und die bereit waren oder es immer noch sind, mit uns zugehen. Freude und Leid mit uns zu teilen. Menschen, deren Namen wir z.B. in einem kleinen, eher unscheinbaren Notizbüchlein aufgeschrieben haben. Nur ein kleines Büchlein, eine Telefonnummer, eine Adresse, ein Name! Und doch eine doch so große Wirkung! Ach ja, auch die Namen derjenigen, die nicht mehr da sind, habe ich nicht etwa durchgestrichen, sondern stehen lassen. Mir kommt ein Ausruf Jesu aus dem Lukasevangelium in den Sinn: „Freut euch aber, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind.“ Ein tröstlicher Gedanke! Kein Mensch geht verloren! Im Übrigen können und dürfen wir auch Gott jederzeit anrufen. Der Beter in Psalm 50 hat es so formuliert: „Rufe mich an in der Not!“ Nun, es muss ja nicht immer in der Not sein.

Ekkehard Karottki

Ekkehard Karottki

Pfarrer, Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Kleinenbremen

Zeit

In der Hand halte ich meine Sanduhr, die mir schon aus Kindertagen vertraut ist. Wie gebannt beobachte ich die rasenden Sandkörner. Sie machen anschaulich, wie schnell die Zeit vergeht. Haben wir nicht gefühlt noch vorgestern aufs neue Jahr angestoßen? Bald ist der Sommer vorüber, der Herbst steht vor der Tür.

Vielleicht haben Sie schon einmal von Chronos gehört. Er zählt zu den Göttern der alten Griechen. Dargestellt wird er mit einer Sanduhr. Der Gott Chronos steht für die Zeit, die dahinplätschert, die abläuft, die vergeht. Chronos ist z.B. die Zeit des Urlaubs, die Dauer eines Festes, die Lebenszeit.

Kairos war ein weiterer Gott der alten Griechen: Ein dynamischer Typ, der mit seinen Flügeln an Füßen und Rücken schnell unterwegs ist. Seine Frisur: Ein Haarschopf vorn und ein kahler Hinterkopf.

Kairos steht für die Gelegenheit. Nur jetzt habe ich die Möglichkeit, ein Angebot anzunehmen; nur jetzt habe ich die Gelegenheit, das Problem zu lösen… Ich sollte Kairos unverzüglich am Haarschopf packen, sonst ist er vorüber gesaust; Ich sollte die Gelegenheit am Schopf packen, sonst ist sie weg! Vielleicht ist gerade jetzt die Zeit, sich zu versöhnen; …um Klartext zu sprechen; …um für Gerechtigkeit einzutreten; …um zu helfen.

Sie kennen alle das englische Wort „present“ (= Geschenk; Gegenwart). Jesus hat uns gesagt: „Die Zeit ist erfüllt! Das Reich Gottes ist schon angebrochen! Das Reich Gottes ist mitten unter Euch!“ – Die erfüllte Zeit, das Geschenk des rechten Augenblicks, ist in unserem Alltag hier und jetzt zu finden. Wir sollten nur wachsam sein und zupacken, um die Gelegenheit zu ergreifen.

Der Sand in meiner Sanduhr ist mittlerweile durchgelaufen, ich ergreife aber noch diese Gelegenheit für Wünsche: Ich wünsche uns allen offene Augen und Ohren, um im Leben wichtige Gelegenheiten zu erkennen. Und wünsche ich uns allen eine kräftige Hand zum Zupacken: Sie wissen schon: vorne am Schopf, denn der Hinterkopf ist kahl…

Michaela Langner

Michaela Langner

Gemeindereferentin der Kath. Kirchengemeinde St. Paulus Minden

Angst geht um in Deutschland.

Angst geht um in Deutschland. Angst vor Winter in kalten Wohnungen; Angst vor nicht bezahlbaren Energiepreisen. Die Angst vor dem Ukraine-Krieg ist bei uns zur Furcht vor Inflation geworden. Diese Furcht ist verständlich. Wie aber kann es gelingen, dass sie uns nicht völlig beherrscht? Denn sonst droht der Zusammenhalt der Gesellschaft in Verteilungskämpfen zu zerbrechen. Putins Plan würde aufgehen. In der Bibel steht: „Furcht ist nicht in der Liebe, sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus“ (1.Johannes 4,18). Was das aktuell bedeu­ten kann habe ich kürzlich im Urlaub erlebt: Wir waren mal wieder in Karelien, im Osten Finnlands. Und natürlich besuchten wir wieder Ilomantsi, die Kleinstadt 25 Kilometer vor der russischen Grenze. Da trafen wir diese freundliche ältere Frau in ihrem Laden. Sie freute sich, uns wieder zu sehen. Denn die Touristen bleiben weg. Die Grenze ist zu nah, der Krieg ist eine reale Gefahr. Schließlich war Finnland im 19. Jahrhundert rus­si­sche Provinz. Putin könnte mit der gleichen Unmoral, mit der er die Ukraine terrorisiert, auch Finnland angreifen. Wenn es aber dazu kom­men sollte, „wohin sollen wir denn dann fliehen?“, fragte sie uns ratlos. „Ich hoffe und bete dafür, dass der Frie­den in Karelien erhalten bleibe“, sagte ich ihr. Sie sah mich entsetzt an und sagte in strengem Ton: „Zuerst müssen wir für Frieden in der Ukraine beten! Da ist Krieg!“ Stark! Diese Frau nimmt Anteil an den Opfern und überwindet so die Macht ihrer ei­ge­nen Angst. Sie lebt das Wort: „Liebe treibt Frucht aus.“ Für den Umgang mit unseren ei­genen Ängsten kann sie uns Vorbild sein. Schenken wir den zu uns Geflohenen un­se­re Aufmerksamkeit. Helfen wir ihnen und den Menschen im Kriegsgebiet mit Beten und Tun des Gerechten. Dann erfahren auch wir, wie Liebe Furcht aus­treibt. Das ist sicher; denn: „Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ (1.Johannes 4,16). Gott aber ist ja stärker als alles, was uns Angst machen kann.

Michael Mertins

Michael Mertins

Superintendent des Ev. Kirchenkreises Minden