Mein liebstes Adventslied ist „O Heiland, reiß die Himmel auf“. Es geht so weiter: „Herab, herab vom Himmel lauf, reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für.“ Ein Lied mit richtig Wumms!
Gedichtet wurde es im Dreißigjährigen Krieg. Im Hintergrund steht ein Text des Propheten Jesaja: „Herr, warum lässt du uns abirren von deinen Wegen? Warum ist unser Herz so hart? Ach, dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass vor dir die Berge zerflössen…“
Das ist ein Klagelied Israels aus trostloser Zeit. Da ist unerträgliche Funkstille zwischen Gott und Israel. Das ist nicht auszuhalten. „Aber du bist doch unser Vater!“ schreit Israel ihm entgegen. „Antworte!“
Wer so redet, der glaubt an die leidenschaftliche Liebe Gottes. Wer so redet, sieht Gott weinen aus enttäuschter Liebe. Hier kommt Hoffnung ganz anders zur Sprache. Ungeschützter, mit der bedrohlichen Möglichkeit, dass es auch anders sein kann. Befremdliche Worte im Advent mit Kerzenlicht und Weihnachtsmärkten und Tannengrün. Ich meine das nicht spöttisch; es ist eine schöne Zeit im Advent. Umso befremdlicher diese Worte. Auf welchen Gott warten wir, wenn wir überhaupt auf ihn warten? Was wäre, wenn der Himmel über dem Mindener Land aufrisse und der Wiehen zerflösse? Seltsamer Gedanke? Ach nein, jetzt nicht…? In keiner anderen Zeit ist der Wunsch nach Besinnlichkeit, Glück und Frieden größer. Ahnen wir, dass wir einen großen Teil unseres Lebens besinnungslos vertun? Machen, rackern, die Erfahrung von Streit und Neid, von Schmerz und Ohnmacht. Das ist unsere Welt, in der Gott nicht mehr vorkommt. Die ihm vielleicht auch keinen Platz mehr zubilligt. Der Advent ist nicht niedlich, sondern höchst sperrig – und doch voller Zuversicht: Wenn ihr nichts habt als eure Not, ihr nichts spürt als Verlassenheit, wenn ihr glaubt, Gott habe sich verabschiedet – dann schreit nach ihm, erinnert ihm seine Versprechen, hartnäckig und mit Wumms!
Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Zeit im Advent.
PS: Das Lied steht unter Nr. 7 im Evangelischen Gesangbuch.
Dieter Maletz
Pfarrer, Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Oberlübbe