Minden / Petershagen. Am Montag, 5. Mai, beginnt um 19 Uhr im Paul-Gerhardt-Haus, Meßlinger Straße 9 in Petershagen, der vierte und letzte Teil der Lesereihe „Kinder Kakaniens. Jüdische Autor:innen der Moderne“. Dieses Mal stellt Frank Meier-Barthel (Foto) von der Evangelischen Erwachsenenbildung die Autorin Maria Leitner (1892 – 1942) vor. Leitner war in den 1920er Jahren eine viel gelesene, anerkannte Reisereporterin, deren Werk allmählich wiederentdeckt wird.
Während einer mehrjährigen Reise durch Nord- und Südamerika übernahm sie Dutzende typischer Frauenjobs – in der Gastronomie, in einer Zigarrenfabrik und als Reinigungskraft. Frank Meier-Barthel wird Passagen aus ihrer Reportage über ein frühes New Yorker Schnellrestaurant vorlesen, in dem Leitner zehn Stunden pro Tag das Geschirr abräumte. In den Südstaaten der USA beschrieb sie eine Kleinstadt, in der gerade ein Lynchmord stattgefunden hatte, und in Cayenne besuchte Leitner eines jener berüchtigten französischen Straflager, in denen Menschen selbst für geringe Delikte landen konnten.
Ihr Interesse galt stets dem Leben der Unsichtbaren. Sie zeigte die Nöte jener, die sonst nicht wahrgenommen werden. So beschrieb sie die Moderne von unten aus betrachtet, bis sie selbst ganz unten war, als mittellose Geflüchtete in Marseille, ohne Papiere für die Fahrt in ein sicheres Land. Meier-Barthel wird auch einen kurzen Ausschnitt aus Anna Seghers Roman „Transit“ vorlesen. Seghers war mit Leitner bekannt und hat die Ohnmacht der Exilanten, die nach der Besetzung Frankreichs nicht aus dem Land kamen, eindringlich beschrieben. Leitner starb 1942 an Unterernährung in einer südfranzösischen Psychiatrie.
Ihre Reportagen sind durch menschliche Anteilnahme, konkrete Anschaulichkeit und den Blick für das Grundsätzliche geprägt. Dadurch sind sie für ein heutiges Publikum so hörenswert und bereichernd wie aktuelle Reportagen.
Der Eintritt ist frei. Die vierteilige Lesereihe „Kinder Kakaniens“ ist eine Kooperation der Evangelischen Erwachsenenbildung mit der AG Alte Synagoge Petershagen, der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Minden, der Jüdischen Kultusgemeinde Minden, der KZ-Gedenk- und Dokumentationsstätte Porta Westfalica und dem LWL-Museum Glashütte Gernheim.