Kürzlich war ich auf dem Friedhof und habe das Grab meines Vaters gepflegt. Ein paar Gräber weiter steht ein Grabstein mit der Inschrift: „Es ist genug. Ich bin nicht besser als meine Väter.“
Mein Vater, mein Großvater, mein Urgroßvater. Und ich der Sohn. Wer ist der Bessere? Eine spannende Frage. Wahrscheinlich hat jeder der vier Zeiten gehabt, in denen er meinte, der Bessere zu sein. Natürlich – das gehört zur Entwicklung eines jeden Sohnes dazu. Ich weiß heute, dass ich nicht besser bin. Ich bin es nie gewesen und werde es nicht sein.
Aber die Herausforderungen im Leben der vier sind sehr unterschiedlich gewesen.
Mein Urgroßvater lebte um die Jahrhundertwende von der Landwirtschaft, ein kleiner Acker, wenig Brot, wenig Geld, viele Kinder. Die herausragenden Veränderungen um die Jahrhundertwende hatten wenig Einfluss auf sein tägliches Leben.
Mein Großvater war Teilnehmer des Ersten Weltkrieges. Er verlor als junger Mann einen Arm und musste seitdem alles mit dem verbleibenden Arm machen. Während er sich auf Grund seines Einsatzes im sogenannten Kirchenkampf vor den Behörden verantworten musste, wurde mein Vater inmitten der rasant alles vereinnahmenden Ideologie der Nationalsozialisten zum Erwachsenen.
Er musste mit 17 als Soldat in den Krieg und kam erst 1948 aus der Gefangenschaft in Rußland zurück. Es kam der Wiederaufbau des Landes und der Beziehungen in den Familien, dem Land, dem Kontinent. Seit vielen Jahren liegt mein Vater nun auf dem Friedhof. Und der Sohn? Ich lebe in einer Phase des Friedens und des Wachstums, wohlgeraten. Die äußeren Umstände, Politik und Wirtschaft, waren ausgezeichnet.
Es ist noch nicht genug. Aber ich weiß, ich bin nicht besser als meine Väter. Ich habe es besser (gehabt).
Heute gehe ich voller Respekt vor „meinen Vätern“ auf den Friedhof, mit voller Achtung vor den gesellschaftlichen, politischen und familiären Herausforderungen, denen sie sich stellen mußten.
Übrigens das Zitat auf dem Grabstein stammt aus der Geschichte des Elia, der besser sein wollte als seine Väter. Darüber wurde er lebensmüde und zog sich unter einen Wachholder zurück und wollte sterben.
Ein Engel half ihm wohl zu der Erkenntnis, dass er nicht besser ist als seine Väter und das Leben trotzdem lebenswert ist. Er stand auf und aß und ging seinen Weg.
Eckhard Hagemeier
Pfarrer, unterrichtet Evangelische Religion am Gymnasium Porta